Algalif's photobioreators made of SCHOTT glass tubing, illuminated by blue light.

Superfood aus dem Glasrohr-Aquarium

Das Streben nach Gesundheit und Wohlbefinden, der Verzicht auf tierische Produkte sowie sogenannte Superfoods liegen voll im Trend. Mikroalgen als Nahrungsergänzung wird dabei eine Makrowirkung zugeschrieben. Kultiviert werden sie zum Beispiel in Rohren aus Spezialglas.

Lea Kaiser, PR & Communications Manager at SCHOTT Julia Bayer, editor at campra

Von Lea Kaiser, Julia Bayer

10 min read

tl;dr: Beim Streben der Menschen nach Gesundheit und Wohlbefinden helfen Mikroalgen als Nahrungsergänzung.

  • Vitaminreiche und umweltfreundliche Superfoods aus Mikroalgen erfreuen sich wachsender Beliebtheit.
  • Der isländische Algenproduzent Algalif kultiviert die Microalge Haematococcus pluvialis und gewinnt daraus das natürliche Antioxidant Astaxanthin.
  • Für die Kultivierung nutzt das Unternehmen Rohre aus Spezialglas von SCHOTT.

Vom Boden bis zur Decke schlängeln sich in Serpentinen kilometerlange Glasrohrsysteme. Zwischen den Rohren beleuchten unzählige LED-Lämpchen deren Inhalt, der grell grün und in Aufruhr ist. Ähnlich wie Wasser kurz vor dem Siedepunkt. Wären die Gäste nicht gerade in einem ganz normalen Produktionsgebäude durch eine ganz normale Tür getreten, könnten sie meinen, sie seien in eine Art Biotech-Raumschiff getreten. Es herrscht eine ruhige und friedliche Atmosphäre. Kaum zu glauben, dass nicht nur eine Gruppe von Menschen im Raum ist, sondern Trillionen Lebewesen, die sich in dem sechs Meter hohen sogenannten Photobioreaktor unentwegt fortpflanzen. Willkommen in der Mikroalgen-Zucht des isländischen Produzenten Algalif.

„Man muss das hier mit eigenen Augen gesehen haben. Diese Atmosphäre ist kaum zu beschreiben“, sagt Tryggvi Stefánsson, operativer Geschäftsführer (COO) von Algalif. Ihn packen die surreale Umgebung und das Spiel der Farben immer wieder aufs Neue. Seit gut zehn Jahren kultiviert der Hersteller in Reykjanesbær am südwestlichen Zipfel der Vulkaninsel beinahe mitten im Nirgendwo die Mikroalge Haematococcus pluvialis, auch Blutregenalge genannt. Aus ihr gewinnt das Unternehmen das natürliche Antioxidant Astaxanthin und verkauft es unter anderem an die Nahrungsergänzungsmittel-Industrie. Die Glasrohre, in denen sich die Einzeller rasant vermehren, stammen von SCHOTT.

Alles Alge, oder was?

Sie sind vermutlich jedem schonmal begegnet. Beim Schwimmen im See oder Meer als lästiges Unkraut, das an den Füßen kitzelt, beim Japaner ums Eck um die Maki-Rolle gewickelt oder in der grünen Gesichtsmaske im Kosmetikstudio – die Rede ist von Algen. Doch wie die unterschiedlichen Beispiele zeigen: Alge ist nicht gleich Alge.

Die einfachste Unterscheidung ist die nach der Größe: Makroalgen sind mit bloßem Auge sichtbar und können wenige Millimeter bis 60 Meter lang werden. Eine Makroalge, die viele aus dem Sushi-Restaurant kennen, ist die Nori-Alge.

Mikroalgen hingegen sind einzeln nur unter dem Mikroskop sichtbar. Die meisten von ihnen sind Einzeller. In Kosmetikprodukten werden sie schon länger genutzt. Bekannte Vertreter, die der Mensch nun auch als Nahrungsmittel kennt und nutzt, sind Spirulina oder Chlorella.

Wie auch Landpflanzen betreiben Algen Fotosynthese und sind damit als Sauerstofflieferant und CO2-Binder unerlässlich für das Klima auf der Erde. Es wird sogar bereits daran geforscht, ob die Wasserpflanzen durch gezielten Einsatz den Klimawandel verlangsamen können – denn sie haben einen klaren Vorteil gegenüber Landpflanzen: Algen wachsen mit rasanter Geschwindigkeit, egal ob in Salz- oder Süßwasser. Darüber hinaus benötigen sie keine knappen Ressourcen wie Ackerflächen oder Bewässerung. Eine Vergleichsrechnung: Auf einem Hektar Anbaufläche wird pro Jahr eine Tonne Raps-Biomasse gewonnen. Auf einem Hektar Algenzuchtanlage 20 Tonnen Biomasse.

Blick auf Algenpflanzen unter Wasser.

Gesundheit heißt heute Wohlbefinden

Ob aus dem Meer oder dem Indoor-Aquarium wie in Island: Mikroalgen gelten als „Superfood“ und haben damit die Bühne des Megatrends Gesundheit betreten. In der heute sorgenfreien Gesellschaft ist Platz für Reflexion, für Selbstoptimierung, für Streben nach Glück und Gesundheit. Dabei geht es längst nicht mehr nur um einen intakten Körper, sondern um das Vereinen von physischer und psychischer Verfassung zum Wohlbefinden. Und um das zu erreichen, gibt es verschiedene Strategien.

Manche Trends setzen Mode und Medien: Achtsamkeit, Detoxing, Work-Life-Balance, Self-Care, Prävention oder Mental Health sind nur einige Schlagwörter, die zum holistischen Gesundheitsverständnis von heute gehören. Die einen erreichen ihr Wohlbefinden durch soziale Kontakte, andere durch Sport, wieder andere durch Meditation. Und nicht wenige Menschen setzen auf gesunde und verantwortungsvolle Ernährung: Vegan, nachhaltig, regional, saisonal und bio müssen Lebensmittel heute sein. Je mehr Kriterien der Einzelne erfüllt, desto größer sein Wohlbefinden, weil er für die Mitmenschen und den Planeten einsteht.

Für sich selbst und die eigene Gesundheit schwören wiederum viele neben gesundem Essen auch auf Nahrungsergänzungsmittel – oder eben Superfoods. Dahinter verbirgt sich ein nicht geschützter Begriff, der Lebensmittel beschreibt, die dank ihrer wertvollen und hochkonzentrierten Inhaltsstoffe förderlich für die Gesundheit sein sollen. Die bekanntesten Vertreter dieser Kategorie Avocados (lange Transportwege!), Smoothies (versteckter Zucker!), Chia-Samen (teuer!) oder Goji-Beeren (teils schadstoffbelastet!) haben den Trend-Zenit dabei schon fast wieder überschritten. Mikroalgen gehören hingegen noch zu den Newcomern.

Wahre Alleskönner

Rund 70 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre stammt von Algen. Damit leisten sie einen mehr als ausreichenden Beitrag zu unserer funktionierenden Welt. Und trotzdem schlummert in den Organismen noch viel mehr Potenzial. Geforscht wird auf den unterschiedlichsten Gebieten. Fünf Beispiele:

  • Mit Algen-Antrieb voraus: Die Nachfrage nach alternativen Energiequellen steigt. Erste Versuche zeigen: Mikroalgen funktionieren als Biokraftstoff und können vielleicht schon bald fossile Brennstoffe im größeren Stil ablösen. Dabei liefern sie nicht nur Energie, sondern stehen auch nicht in Nutzungskonkurrenz mit Lebensmitteln wie zum Beispiel Raps oder Mais.

  • Aus Algen gebaut: Eine Architekturtechnologin aus Dänemark entwickelt Seegraspaneele, die als Dach- oder Fassadendämmung dienen. Im „Algentechnikum“ der Technischen Universität München forschen Wissenschaftler an einer CO2-neutralen Alternative zum Werkstoff Carbon, hergestellt aus Mikroalgen. Bislang werden Carbon-Fasern aus Erdöl oder Erdgas gewonnen.

  • Fleisch aus Algen: Ein Startup aus Israel entwickelt eine rote Mikroalge der Spezies Porphyridium für pflanzliche Burger und Steaks. Die Formulierung ahmt die rote Farbe von Rindfleisch nach, sodass für Fleischalternativen auf Pflanzenbasis keine künstlichen Farbstoffe verwendet werden müssen.

  • Abendkleid aus Alge: Ein Berliner Startup arbeitet mit einem israelischen Algenzüchter an der Revolution der Textilindustrie: Sie stellen Stoffe und Farben aus Algen her. Die Vorteile: Keine Kunststofffasern, weniger wasserintensiver Baumwoll-Anbau und keine chemischen Stoffe auf der Haut.

  • Algen als Arznei: Die Algenindustrie ist mit rund 25 Jahren vergleichsweise jung, das Wachstum am Markt mit rund 15 bis 20 Prozent aber enorm. Die Experten vom isländischen Produzenten Algalif sind überzeugt, dass auch die Pharmaindustrie in wenigen Jahren Produkte aus Algen nutzen wird – größte Hürde hierbei ist die noch fehlende Zulassung als Arzneimittel.

 

Mehrere Petrischalen mit grünen Mikroalgen vor weißem Hintergrund.

Mit Stress zum Anti-Stressmittel

Zurück in Island. Sind die Trillionen kleinen Kollegen von COO Tryggvi und seinen rund 50 mehrzelligen Mitarbeitenden ausreichend gewachsen, findet die ruhige Atmosphäre ein jähes Ende. Zumindest innerhalb des mit Süßwasser gefüllten Photobioreaktors.

„Die Grüne Phase ist vorbei. Im nächsten Produktionsschritt, der Braunen Phase, werden den Algen die Nährstoffe entzogen“, erklärt die Biologin Julia Gamaniek. In dieser und der folgenden Roten Phase werden die kleinen Lebewesen purem Stress ausgesetzt. „So bringen wir sie dazu, Astaxanthin zu produzieren“, erklärt Julia.

Es folgt ein Prozess, der den Stress der Pflanzen sichtbar macht: Aus dem satten Grün in den kilometerlangen Glasrohren wird ein tiefes, bräunliches Rot. Schließlich wird geerntet und das Astaxanthin aus der Biomasse in das lipidreiche Extrakt „Oleoresin“ extrahiert. Auf Basis dieses stressgeladenen Prozesses entsteht ein Mittel, das Menschen als Anti-Stress-Mittel gegen sogenannten oxidativen Stress hilft, bei dem ein Ungleichgewicht im Stoffwechsel herrscht.

Diese Wirkung ist nur eine von vielen, die dem Farbstoff aus der Klasse der Carotinoide zugeschrieben wird. „Laut Studien ist Astaxanthin gut für die Gesundheit von Gehirn, Augen, Herz-Kreislaufsystem und Haut. Es hilft, gesund zu altern und bei der Muskelregeneration“, zählt Algalifs Marketingexperte Svavar Halldorsson routiniert die vielen Vorteile auf. Er selbst merke, dass seine Haut der Sonne deutlich länger standhalte, seit er die tägliche Einnahme vor drei Jahren begann. Sein Arzt wiederum habe festgestellt, dass sich seine körperlichen Werte insgesamt deutlich verbesserten. „Ich persönlich finde, jeder, der es täglich einnimmt, sollte einen Rabatt bei der Krankenkasse bekommen“, sagt er und lacht.

Der Kritik an Nahrungsergänzungsmitteln, dass man für den Körper wichtige Stoffe auch über die normale Ernährung aufnehmen könne, entgegnet er im Fall von Astaxanthin pragmatisch: „Für die empfohlene Tagesdosis von acht Milligramm müsste man vier große Lachse essen. Ich liebe den Fisch ja, aber das wäre doch zu viel des Guten.“

Weltmarktführer aus dem hohen Norden

2012 gegründet, ist Algalif einer der weltweit größten Produzenten von natürlichem Astaxanthin – dem Stoff, der Lachsen oder Flamingos die rosa Farbe verleiht. Das Unternehmen plant für Frühjahr 2024 den Ausbau seiner Produktionsfläche von 5.500 auf 12.500 Quadratmeter. Die Länge der Glasröhren des Photobioreaktors wächst in diesem Zug von 180 auf 600 Kilometer bei einer Wassermenge von rund einer Million Litern. Durch die Expansion wird die Ausbeute von reinem Astaxanthin auf 5.000 Kilogramm pro Jahr ansteigen, was einer Verdreifachung im Vergleich zum Beginn des Jahres 2023 entspricht.

Mehr erfahren

Algalif Werk in Island vor bewölktem dunklen Himmel.

Natürliches System im Reagenzglas-Look

Vor der Verarbeitung oder dem Verzehr der Algen steht natürlich der Anbau. Der kann auf verschiedene Arten erfolgen: Naturnah in offenen Becken und unter Sonnenlicht oder in geschlossenen Systemen wie den Photobioreaktoren in Island, die an riesige Reagenzgläser erinnern, aber nichts mit einer Laborzüchtung gemeinsam haben.

„In unseren Glasröhren befinden sich ausschließlich reinstes isländisches Süßwasser und unsere Haematococcus pluvialis“, erklärt Tryggvi. Die Reaktoren können aus Plastik oder Glas sein und die Fotosynthese der Algen durch Sonnen- oder auch künstliches Licht hervorgerufen werden. Algalif hat sich für die LED-Variante und Glasröhren von SCHOTT entschieden.

Aus Licht wird Materie

Die industrielle Kultivierung von Mikroalgen ist eine effiziente Methode der Massenproduktion. Photobioreaktoren aus Glasrohren bieten ideale Wachstumsbedingungen, die hohe Erträge an gleichmäßiger, hochwertiger und unbelasteter Biomasse liefern. DURAN® Borosilicatglasrohre eignen sich aufgrund ihrer Robustheit, UV-Stabilität, Biosicherheit und außergewöhnlichen Lichtdurchlässigkeit perfekt für verschiedene Photobioreaktortechnologien. DURAN® ist eine eingetragene Marke der DWK Life Sciences GmbH.

Aus Licht wird Materie

„Für unsere Bedürfnisse ist das die perfekte Kombination“, sagt Tryggvi. „Wir können die Einzeller genau der richtigen Menge Licht aussetzen, die für die Produktion von Astaxanthin benötigt wird.“

Ein geschlossenes System habe dabei noch einen entscheidenden Vorteil, ergänzt seine Kollegin Julia: „Auch wenn wir hier in Island mit die sauberste Luft weltweit haben, sind die Algen in den Röhren komplett vor äußeren Einflüssen geschützt. Denn schon die Abgase einer naheliegenden Straße könnten sonst absorbiert werden.“

Nicht zuletzt habe Glas den klaren Vorteil gegenüber Plastik, dass es keinerlei Wechselwirkung mit dem Inhalt verursacht, dass es langlebiger ist und gut gereinigt werden kann. Denn nach der Roten Phase und der Ernte beginnt der Kreislauf im isländischen Biotech-Raumschiff von vorn: Wasser, eine Startkultur Algen und schon bald blubbert es wieder leuchtend Grün in den Glas-Serpentinen.

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